Zurück in die Zukunft

Nach vielen, vielen Jahren zurück in der Stadt, in der wir studierten, mit Freunden aus dieser Zeit.
Was hatten wir erwartet?

Vielleicht so etwas wie ein kleines Klassentreffen. Gemeinsam lässt man sich in die alte Zeit zurückgleiten und fühlt sich dabei ein bisschen jünger, viel jünger – ein wohliges Eintauchen in gute, alte Zeiten.

Aber vielleicht sind Studienjahre schon nicht mehr wie die guten alten Schulzeiten, sondern schon mehr der Ernst des Lebens.

Oder vielleicht hatten wir lange genug oder zu lange gewartet, mit dem Zurückkehren, je nachdem, wie man es betrachten möchte.

Es war jedenfalls alles ganz anders.

Die Stadt präsentierte sich schön, aber fremd. Oder war es umgekehrt? Präsentierten wir uns fremd?

Die Sonne schien.
Überall gab es Straßencafés. Das war neu.
Überall saßen junge Menschen in den Straßencafés und waren fröhlich. Das war vielleicht früher auch so, aber wir wussten es nicht mehr.

So vieles war der Erinnerung entfallen.
Und vieles war verschwunden, wie die alten, traditionellen Cafés, die es zu „unserer Zeit“ noch gab, die aber damals schon begannen, nach und nach zu schließen, obwohl sie immer voll waren. Seltsamerweise.

Auf unseren Rundgängen zeigten und erklärten wir uns gegenseitig, wo Café Kleimann gewesen war oder das Schucan mit der Bahnhofsatmosphäre oder die Buchhandlung Regensberg und was wir noch so erkannten, und dann kamen doch einige zarte Erinnerungen auf. Alte, leicht verschwommene Bilder, wie es damals wohl ausgesehen hatte. Das ging so pingpongmäßig hin und her. Die Männer hätten den Wiedererkennungswettbewerb wahrscheinlich gewonnen, wenn wir ihn denn ausgerufen hätten. Zumindest, was die Gebäude anging.

Das Parkhaus an der Uni zeigte sich in ganz neuer Verkleidung. Viel zu schön für ein Parkhaus. Und wieso stand es an dieser Stelle? Stand es dort schon immer? Ja, meinten die Gewinner.

Auch die Mensa war eine fremder Ort. Nur die lauten Geräusche im Speisesaal waren so nervtötend wie seit 1000 Jahren. Die lauten Klappergeräusche vom Geschirr und das irritierende Stimmengewirr – ein leichtes Gefühl des Déjà-vu – aber keines, dem ich gerne lange nachsinnen wollte . . .

Einiges schien zwar noch so zu sein, wie es immer war. Aber bei näherem Hinfühlen änderte sich das wieder schnell. Das Blaue Haus mit seinen niedrigen Decken, unverändert, wie immer schummerig, und sogar der abgestandene Kneipen-Geruch wabert noch durch die verwinkelten Stockwerke mit den kleinen Tischen und der knarrenden Holztreppe. Aber auch das versetzte uns nicht wirklich zurück. Ein paar Erinnerungen blitzten zwar auf, wie ich mit den Eltern hier gesessen hatte und die Mutter sich über grüne Nudeln im Blauen Haus freute. Grüne Nudeln waren damals noch nicht so weit verbreitet. Und jetzt schmeckten sie aber nicht mehr so gut und waren zu hart.

Schwärmerei kam auch nicht im Tropenhaus des Botanischen Gartens auf, das wir früher so oft besuchten.
Vielleicht ein Hauch davon im Kreuzgang des Doms – mit der Barlach-Bronze vom Bettler. Das ist ein magischer Ort. Aber das liegt eher daran, dass ich Kreuzgänge immer liebe. Ich suche jeden auf, den ich finde. Sie sind magisch. Immer. Und Barlach sowieso.

Alles war anders. Anders, als ich es in Erinnerung hatte, ganz anders.
Fremd. Es war, als ob ich auf einem Balkon stand und herabblickte und nichts wirklich erkannte. Oder nur so, als ob ich es schon einmal in einem Film gesehen hatte, nicht in meinem wirklichen Leben. Nicht, dass wir dort an der Brüstung saßen wie Waldorf und Stadler, um über alles zu lästern. Es gab ja keinen Grund zu lästern, nur zu staunen. Über die Stadt. Über uns.

Wie sie war. Wie sie ist.

Wie wir waren. Wie wir sind.

Das Institut, in dem unsere Freundin gearbeitet hatte, fanden wir von Sträuchern und rankenden Pflanzen verschlungen und überwuchert vor. Es war offenbar seit etlichen Jahren geschlossen. Die Freunde verschwanden plötzlich. Kurz kam ich mir vor, wie in einem Horrorfilm, in einem Lost Place verloren. Aber dann kamen sie auf mein Rufen hin doch wieder heraus und zeigten uns, was sie gefunden hatten. Die Einrichtung war noch da. Auch wenn die immer noch schönen Fliesen in der Eingangshalle von mörteligen Brocken und Staub und Glassplittern bedeckt waren. Die Labortische standen noch alle in ihren langen Reihen, die Namensschilder hingen an den Türen, Zettel am schwarzen Brett. Eine verlassene, verlorene Stätte. Kein Leben mehr darin. Nur draußen, in Form der alles verschlingenden Natur.

Die Vergangenheit vom Gehölz überwuchert. Kaum mehr zu finden, kaum mehr wiederzukennen. Ein Ort verändert sich mit der Zeit, wird ein anderer, wirklich ein anderer. Ort und Zeit sind aneinander gebunden. Und der Mensch und die Zeit auch. Auch wir sind andere, wirklich andere. Und wir kennen die Früheren vielleicht gar nicht mehr. Im Dschungel verloren. Nicht nur das Gebäude. Auch wir. Die Zeit. Alles verschwunden, überwuchert . . . verloren? Ich weiß es nicht. Verloren vielleicht nicht. Aber etwas, auf das man vom Balkon aus blickt, mit einem Glas Wein in der Hand. Und das man für gut und beendet befindet.

Anders als erwartet, aber doch kein schlechtes Gefühl.
Wir können wieder weiter gehen. Zurück in die Zukunft. Zu den alten Gestalten, die uns aus den Spiegeln im Hotel entgegenblicken.